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Schwerhörigkeit und Demenz
Schätzungen zufolge leben in Deutschland aktuell rund 1,8 Millionen Menschen mit Demenz, bis 2050 könnte sich die Zahl auf 2,4 bis 2,8 Millionen erhöhen. Zu den Risikofaktoren, die eine Demenz begünstigen, zählt Schwerhörigkeit. Warum das so ist und was das bedeutet, darüber haben wir mit Annette Limberger gesprochen. Sie ist Professorin für Hörakustik an der Hochschule Aalen.
Frau Limberger, können Sie uns erklären, wie sich eine Hörminderung auf das Gehirn auswirkt?
Bei einer Hörschädigung sind meist die sogenannten Haarzellen im Innenohr geschädigt. Diese sind dafür da, eingehende Schallwellen in Nervensignale umzuwandeln und an das Gehirn weiterzuleiten. Kommen immer weniger Signale im Gehirn an, werden in der Folge Nervenverknüpfungen, Synapsen, abgebaut, was zu kognitiven Einschränkungen führt. Das ist die unmittelbare Wirkung einer Hörminderung auf das Gehirn.
Das klingt, als gäbe es auch mittelbare Wirkungen …
Genauso ist es. Und diese sind vermutlich noch gravierender. Menschen, die nicht mehr gut hören und verstehen, ziehen sich häufig aus ihrem sozialen Umfeld zurück. Dieser Rückzug führt ebenfalls dazu, dass das Gehirn weniger Impulse erhält und Nervenverknüpfungen im Gehirn abgebaut werden. Ein weiterer Punkt ist: In der Wissenschaft geht man davon aus, dass unser Arbeitsgedächtnis eine begrenzte Kapazität hat. Wenn man sich bei Gesprächen permanent darauf konzentrieren muss, was der oder die andere sagt, hat das Arbeitsgedächtnis keine Kapazität mehr frei, um den Inhalt des Gesprächs zu verarbeiten. So können Missverständnisse und Irritationen entstehen, in deren Folge viele Schwerhörige sich ebenfalls sozial zurückziehen.
Wie wichtig ist es, frühzeitig auf eine Hörminderung zu reagieren?
Wenn ich das so sagen darf: äußerst wichtig. Je früher man die Schwerhörigkeit versorgt, umso weniger Nervenverknüpfungen werden abgebaut, umso weniger ist mein Arbeitsgedächtnis eingeschränkt. Ich muss mich weniger auf das Zuhören konzentrieren und kann stattdessen zum Beispiel über Zusammenhänge oder mögliche Antworten nachdenken. Eine frühzeitige Hörversorgung kann einen Beitrag dazu leisten, dass Menschen sozial aktiv bleiben.
Viele Menschen merken oft gar nicht, dass sie nicht mehr gut hören. Regelmäßige Hörtests könnten helfen …
Auf jeden Fall. Vor allem ab einem Alter von 50 oder 60 Jahren ist das sinnvoll. Verschiedene Organisationen setzen sich deshalb für routinemäßig durchgeführte Hörtests als reguläre Vorsorgeleistung ein. Abgesehen davon könnten zwei Aspekte eine frühzeitige Diagnose und Versorgung begünstigen. Früher sprachen die Menschen davon, dass sie sich mit 60 oder 70 auf ihr Altenteil zurückziehen. Die sogenannten Babyboomer hingegen sind viel aktiver, sie möchten möglichst lange am Leben teilhaben. Hinzu kommt, dass viele aus dieser Generation schon an die Technik, an Earbuds, Kopfhörer oder auch Wearbles gewöhnt sind. Die Hemmschwelle ein Hörgerät zu tragen, sinkt dadurch.
Liegt bereits eine Demenz vor, was ist bei der Behandlung einer Hörminderung zu beachten?
Ein Problem ist, dass man den Hörverlust häufig gar nicht erkennt. Nicht passende Antworten oder unerwartete Reaktionen werden auf die Demenz zurückgeführt. Um dem entgegenzuwirken, ist es wichtig, dass man sich für Diagnose und Hörtest ausreichend Zeit nimmt. Hilfreich ist eine Fremdanamnese, die Angehörige oder Pflegepersonal mit einbezieht.
Können Hörgeräte helfen, die Situation von Menschen mit Demenz zu verbessern?
Davon bin ich überzeugt – und auch wissenschaftliche Erkenntnisse weisen in diese Richtung. Letztendlich geht es wieder um Teilhabe, verbunden mit Lebensfreude. Musik ist für Menschen mit Demenz zum Beispiel etwas Elementares. Erst kürzlich war ich bei dem Vortrag eines Psychologen und Musiktherapeuten, der unter anderem Menschen mit Demenz behandelt. Einer seiner Patienten war schwerhörig. Nachdem er mit Hörgeräten versorgt war, schien er plötzlich wie ausgewechselt. Er war wieder fröhlich, hat mitgesungen und getanzt.
Hinzu kommt: Auch Pflegepersonal oder pflegende Angehörige profitieren von einer Hörgeräteversorgung. Es macht den Alltag einfacher, wenn Menschen wieder wahrnehmen, dass sie angesprochen werden, und wenn sie zum Beispiel einfache Anweisungen beim Waschen oder Essen wieder verstehen. Deswegen kann ich Angehörige von Menschen mit Demenz nur dazu ermuntern, das Gehör nicht außer Acht zu lassen.
Gibt es spezielle Hörgeräte für Menschen mit Demenz?
Das nicht. Aber man kann sicherlich sagen, dass das Sprachverstehen im Vordergrund steht und Eigenschaften wie Bluetooth-Ankopplungen eher keine Rolle spielen. Da es oft um Menschen geht, die viel im Bett liegen, sind gut sitzende Hinter-dem-Ohr-Hörgeräte mit individuell angefertigten Ohrpassstücken eine gute Wahl. Sie sollten über eine gute Rückkopplungsunterdrückung verfügen, die nicht zulasten der Verstärkung geht. Ich würde zudem Akku-Geräte empfehlen, da herumliegende Batterien immer auch eine Gefahr darstellen, sie könnten zum Beispiel mit Tabletten verwechselt werden.
Demenz: Was ist das eigentlich?
Der Begriff kommt aus dem Lateinischen und bedeutet „Weg vom Geist“ oder „ohne Geist“. Damit ist das Hauptmerkmal einer Demenz klar umrissen: Betroffene verlieren nach und nach ihre kognitive Leistungsfähigkeit. Zudem verändert eine Demenz Wahrnehmung, Verhalten und Erleben.
Annette Limberger ist Professorin an der Hochschule Aalen und leitet dort den Studiengang Hörakustik/Audiologie. Zudem ist sie Fachärztin für Phoniatrie und Pädaudiologie und Leiterin der entsprechenden Abteilung an den SLK-Kliniken Heilbronn.